Christa Stiller hat auf einen Artikel über die Cantulia-Fabrik aufmerksam gemacht, der am 12. April 2021 im General-Anzeiger (An Rhein & Sieg) erschienen ist. Autorin des Artikels ist Bettina Köhl.

Cantulia Mitarbeiter in einer Arbeitspause

Mitarbeiter des ehemaligen Siegburger Cantulia-Werks in einer Arbeitspause (Foto: Archiv Siegwerk) – Das Cantulia-Männchen ist mit dabei

Ein Instrument mit rheinischer Seele

Autor Jörg Manhold sucht nach dem Geheimnis des alten Akkordeons, das in der Siegburger Cantulia-Fabrik gebaut wurde

VON BETTINA KÖHL

RHEIN-SIEG-KREIS. Es beginnt mit einem Zufallsfund. Ein Akkordeon fällt in die Hände von Herrman, der sofort von dem Instrument fasziniert ist. Er beginnt zu recherchieren – und zu üben. Das rote Akkordeon zieht sich fortan als roter Faden durch die Geschichte, die eine Liebeserklärung an ein verkanntes Instrument ist, an ungewöhnliche Menschen und an ihre rheinische Heimat. Autor Jörg Manhold verknüpft in "#quetsch". Das Geheimnis des alten Akkordeons" kleine Episoden, die er mit journalistischer Neugier und musikwissenschaftlichem Sachverstand ausgegraben hat.
Das rote Firmenemblem in Form eines C auf der C-Taste des Akkordeons fuhrt zurück in die Siegburger Industriegeschichte. Die Firma Cantulia von Walter Neuerburg stellt dort von 1937 bis 1957 hochwertige Instrumente her. Sie waren sofort an ihrem rot lackierten, polierten Gehäuse zu erkennen. 1953 arbeiteten hier noch 250 Menschen, nur weniger Jahre später wurde das Unternehmen an Marktführer Hohner verkauft. Die Fabrikgebäude sind noch erhalten, sie gehören heute zum Farbenhefsteller Siegwerk. Aber was hat zum Aus für Cantulia geführt? „Sie waren sehr erfolgreich und sehr gut und irgendwann plötzlich weg“, sagt Manhold, der intensive Nachforschungen betrieben und mit Zeitzeugen wie Reinold Meffert, bis zur Schließung Geselle bei Cantulia, gesprochen hat.
Das Rätsel des gutes Klangs hingegen war schneller gelöst: Cantulia bezog die hölzernen Stimmstöcke aus der Werkstatt Scandalli aus Castelfidardo, der italienischen Hochburg des Akkordeonbaus.Trotzdem bekommt der Quetschebüggel aus dem Haus Cantulia einen typisch rheinischen Spitznamen: Als „et Jüppchen" startet er im Buch eine Reise um die Welt Jüppchen trifft Polkakönig Will Glahé und seine „Rosamunde“. Es ist mit Straßenmusiker Schäng Schneller in den Dörfern des östlichen Rhein-Sieg-Kreises unterwegs und erinnert an die kabarettistische Vergangenheit der Ordensfrau Isa Vermehren. „Ich habe die wichtigsten Ereignisse der Akkordeongeschichte im Allgemeinen mit den wichtigsten Akkordeonspielem und der wichtigsten Akkordeonfabrik aus der Region dokumentiert“, sagt der Autor.
Letztlich ist „#quetsch“ ein Buch gewordenes Bühnenprogramm. GA-Redakteur Jörg Manhold ist mit dem Akkordeon immer wieder aufgetreten und hat zwischen Polka und Tango Geschichten rund um das Instrument erzählt. Seit einem Jahr ruhen die Konzerte, man muss sich den Klang ohne aggressives Tremolo, den Herr Manhold und Herrman Hold gleichermaßen lieben, beim Lesen vorstellen.
„Ich versuche immer, etwas zu spielen, was nicht so klischeemäßig Akkordeon ist, zum Beispiel Klezmer und Jazz“, sagt der Hobbymusiker. Das Akkordeon sei eigentlich ein Orchester. „Du kannst alles darauf spielen, nicht nur bayrische Volksmusik.“ Für Manhold war es nach Gitarre, Saxofon und Klavier das vierte Instrument, das er gelernt hat. Im Selbststudium im heimischen Keller hat er es bis zur Bühnenreife geschafft. Ursprünglich wollte er damit Kinderlieder begleiten, „aber die Kinder fanden den Klang überhaupt nicht schön“. Der Vater dafür umso mehr. Sein Erzählband ist pure Werbung für das Akkordeon, wer es liest, wird selbst zum Cantulianer. „Ich sehe eine Parallele zur Mundart. Das Akkordeon wird unterschätzt, es gilt als primitiv. Das ist nicht angemessen“, sagt Manhold, der im General-Anzeiger die Mundart-Kolumne „Rheinische Redensarten“ schreibt und dazu bereits zwei Bücher veröffentlicht hat.
Das typisch Rheinische am Jüppchen hat er sofort erkannt. „Je nachdem, wie man es spielt, klingt es nach Nordsee oder nach Alpen. Aber in der Mitte, das Atmen des Balgs, hat eine rheinische Seele“, findet Manhold. Die Geschichte endet, wie sie begonnen hat: mit einem Zufall, aber dazu mehr in „Das Geheimnis des alten Akkordeons".
Das Buch: Jörg Manhold, #quetsch.Das Geheimnis des alten Akkordeons, Edition Lempertz, ISBN 978-3-96058-375-2. 96 Seiten, 9,99 Euro
Dorothee Akstinat half, das Cantuliamännchen wiederzufinden. Es stand jahrzehntelang im Hennefer Kurpark. foto holger arndt